Dr. Brinkmann heißt jetzt Dr. Sommerfeld ("Praxis Bülowbogen"), Dr. Voss ersetzt Dr. Franck ("Ein Fall für zwei"), "Der Fahnder" geht in die dritte Generation... und so läßt sich die Liste an Neubesetzungen altbekannter Seriengesichter mühelos durch viele weitere Beispiele fortsetzen.
Neu- bzw. Umbesetzungen sind Realität im Fernsehgeschäft, sei es, daß auch Schauspieler in Rente gehen ("Derrick") oder einfach weil es andere verlockende Angebote für die Darsteller gibt.
Was geht eigentlich in Zuschauern vor, wenn derartige Neubeset-zungen stattfinden, die Schauspieler ausgetauscht, die eigentliche Rolle aber bestehen bleibt? Unproblematisch dürfte sich eine Neubesetzung nie gestalten. Hat sich doch der Zuschauer bereits an den jeweiligen Hauptdarsteller gewöhnt. Der "Held" der Serie ist des Zuschauers Freund, sein "enger Vertrauter", den man gut kennt, der berechenbar ist, der verläßlich zur Verabredung am jeweiligen Ausstrahlungstermin erscheint.
Die Hauptdarsteller sind die "Anker" der Serie, mit und durch sie erlebt man Freud und Leid und sie erfüllen darüber hinaus vielen auch eine "Quasi-Beziehung", was dem Motiv der "Parasozialen Interaktion" gleichkommt und in einzelnen Fällen auch in einer "Ersatzfreundschaft" münden kann. Damit sind auch die Hauptmotive zur Serienrezeption beschrieben: "Identifikation" und "Parasoziale Interaktion".
Neben (spannender) Unterhaltung, Entspannung und der Alltagsflucht (Eskapismus) sowie auch - je nach Format - angebotenen Problemlöse-Möglichkeiten für den Zuschauer weisen die Motive Identifikation und Parasoziale Interaktion auf die zentrale Bedeutung des/der (Haupt)-Darsteller(s) hin.
Wird nun der bekannte Serienheld ausgetauscht, wird kognitiv als auch emotional vom Zuschauer einiges abverlangt. Er muß einerseits eine rationale Umstrukturierung vornehmen, die neue Situation mit einem neuen Darsteller "begreifen" und darüber hinaus seine emotionale Beziehungsebene zu "dem Neuen" aufbauen.
Dieser Prozeß ist zwangsläufig mit einer Gewöhnungsphase verbunden, die das Risiko in sich birgt - wenn der Transfer durch die neuen Darsteller nicht überzeugend gelingt - das Stammpublikum zu verlieren. Auf der anderen Seite besteht die (meist geringere) Chance, durch prominente Austausch-Darsteller eine neue Zuschauerschaft hinzu zu gewinnen. Häufig sind die neuen Darsteller bereits aus anderen Serien bekannt.
Der Transfer auf die neue Rolle gelingt nicht einfach, ist doch der Schauspieler mit dem Image der alten Rolle behaftet und in der neuen Rolle unvertraut. Jedoch ist der prominente Schauspieler selbst gleichzeitig häufig altvertraut und ermöglicht somit leichter eine emotionale Basis zum Zuschauer zu schaffen. Vor dem Hintergrund der existierenden Zielgruppe sollte aber beachtet werden, daß auch die neue Figur die alte Fangemeinde durch Identifikationskraft bedient. Dabei ist weniger eine tadellose Kopie des Vorgängers von Bedeutung als vielmehr die Darstellung eines markanten Typus, der, wenn auch auf einer anderen Dimension - aufgrund einer besonderen Charakter-eigenschaft - faszinierend ist. Die Frage, ob der Nachfolger dem Vorgänger besonders ähnlich sein, in die gleiche Rolle schlüpfen sollte, mit den gleichen, liebgewordenen Charaktereigenschaften ausge-stattet sein sollte oder ob die Serie mit der Darstellung eines neuen, völlig anderen Typs, mit anderen Eigenheiten und Eigenschaften erfolgreich weitergeführt werden sollte, ist offenbar u.a. abhängig von der Ausstrahlungshistorie.
Insbesondere bei etablierten, länger in der Ausstrahlung befindlichen Formaten gestaltet sich eine ähnliche Besetzung problematisch, da hier die Zuschauerschaft aufgrund der Vertrautheit mit dem Darsteller besonders kritisch ist. Niemand will eine fehlgeschlagene Kopie von "Derrick".
Die Konstellation "Harry und Stefan" und die sendungstypischen Elemente, Storylines etc. könnten wohl beibehalten werden, aber einen Darsteller mit ähnlichen "Tränensäcken" wie Horst Tappert versuchen zu imitieren, würde kaum gelingen und auf erhebliche Reaktanz in der Zuschauerschaft stoßen. Bei kürzer in der Ausstrah-lung befindlichen Serien gelingt die Akzeptanz des ähnlichen "Neuen" generell leichter.
Zur Erklärung dieser Annahme können Erkenntnisse aus der Wahrnehmungspsychologie herangezogen werden. Bei frühem Wechsel ("jungen Serien") verwischen geringe Unterschiede (die immer vorhanden sind) im permanenten Vergleichsprozeß am Maßstab des Vorgängers eher in der Zuschauerwahrnehmung ("Assimilation"), d.h. sie werden leichter angeglichen, wohingegen sie bei etablierten Formaten aufgrund der kritischen Fangemeinde, die das Format nur so kennengelernt hat eher verstärkt werden ("Kontrast").
Nicht zu übersehen und ebenfalls problematisch ist, daß sich mit dem Darstellerwechsel häufig die Serie auch atmosphärisch verändert, denn "der Neue" transportiert auch seine eigene Lebenswelt. Zuschauer nehmen dann häufig eine ganz neue Serie wahr. In solchen Fällen wünschen sich die Zuschauer durchaus eine neue Dramaturgie, anstelle einer Fortsetzung des Alten, einen neuen Schwerpunkt in der Serie, um nicht in ewigen Vergleichsprozessen haften zu bleiben und ihnen eine Neuorientierung besser gelingt. Dabei sollte jedoch der zentrale Handlungsstrang der Serie nicht vollständig aufgegeben werden, um die Zuschauer nicht hilflos im orientierungslosen Raum stehen zu lassen.
Steht ein Darsteller-Wechsel bevor, ist dabei wichtig, den Zuschauer darüber zu informieren, ihn langsam an die neue Situation zu gewöhnen, ihm dramaturgisch zu begründen, warum der Wechsel stattfindet, anstelle eines plötzlichen, nicht nachvollziehbaren Wandels, der nur schockieren und damit schnell zu einer Abkehr von dem Format führen kann.
Autorin: Dipl. Psych. Janine Leyendecker